Ein italienischer Fall
Bruno Cousin und Tommaso Vitale 21 February 2008

Dieser Artikel wurde in Reset Nr 105 (Januar-Februar 2008) veröffentlicht (1).

Seit mehr als einem Jahr nach dem Todestag von Oriana Fallaci (1929-2006), Journalistin, Romanschriftstellerin und Essayistin, haben die Sozialwissenschaften den außergewöhnlichen Erfolg der Trilogie über Islam und den Western (2) in Italien analysiert. Dieses Phänomen enthält viele Facettierungen und bezieht sich, zunmindest zu Beginn, auf eine große Vielfalt unterschiedlicher Recherchenprotokolle. Die Überarbeitung der offiziellen Biographie der Schrifstellerin, vorangetrieben mit einer gleichzeitigen archeologischen Neulesung ihres Werks, zielt auf eine Rekonstruktion der Entwicklung ihres Verhältnisses zum Islam (1954 mit einer Untersuchung über die iranische Gesellschaft und die kaiserliche Familie eingeleitet). Gleichzeitig sollte der Publikumserfolg der Trilogie den Ausgangspunkt für eine gründliche Analyse nicht nur der Grundzsätze des Essentialismus und des Differentialismus der Fallaci-Thesen bilden, die ein gemeinsames Menschsein leugnen (Analyse, die es erlauben würde diese Thesen in die Geschichte des Denkens einzuordnen), sondern auch deren Aufnahme beim Publikum, im besonderen die Verbreitung und die Art und Weise der Resonanz (oder Dissonanz) unter ihren treuesten Lesern (3) betreffend.

Letztendlich ist es notwendig eine Soziologie der Falsifikation (4) zu erabeiten, in der die Bedingungen und die Modalität des Entstehens einer offen rassistischen Lehre zum Objekt der Untersuchung wird: Man muss also die Funktionsweise der Welt des italienischen Journalismus und der Intellektuellen, des Verlagswesens und der Mechanismn analysieren, die in Italien die Bestseller der Jahre 2001-2006 hervorgebracht haben, sowie den “Moment “Fallaci”, der eng mit dem “Moment Berlusconi” auf politischer Ebene verbunden ist. Eine derartige Analyse ist bereits eingeleitet worden (5) und die folgenden Seiten stellen eine Vertiefung des reichhaltigen Materials, das anlässlich des Todes der Journalistin-Schriftstellerin publiziert wurde. Obwohl Oriana Fallaci ihr Leben lang eine eifersüchtige Hüterin ihrer eigenen Legende gewesen war, haben die ihr postum zum Gedenken erwiesenen Huldigungen, mehr oder weniger beabsichtigt, zahlreiche bisher unveröffentlichte Fakten enthüllt und ließen eine Vielfalt von erhellenden Zeitzeugenaussagen über die italienische Medienwelt zutagekommen.

Die Omertà im Journalismus

Wenige Stunden nach den Terroranschlägen des 11. September 2001, erhält der damalige Geschäftsführer der Rizzoli-Gruppe, Gianni Vallardi, einen Anruf aus der New Yorker Wohnung von Oriana Fallaci: Entsetzt über die im Fernsehen gesehenen Bilder, besteht die Journalistin-Schriftstellerin darauf in irgendeiner Form reagieren zu können. Vallardi, der sie seit 15 Jahren kennt, weiß genau von ihrer immer tieferen Avversion gegen die islamische Welt; ihr Roman Inschallah aus dem Jahr 1990 ist Beweis genug dafür, ohne auf die Antipathie gegenüber den von ihr bereits zwanzig Jahre zuvor interviewten Islamführern zurückgeifen zu müssen (6). Dem verlegerischen scoop auf der Spur, setzt sich Vallardi dennoch mit seinem Kollegen Ferruccio De Bortoli (7), damaliger Direktor des “Corriere della Sera”, in Verbindung, der sich höchstpersönlich nach New York begibt, um Frau Fallaci zu überzeugen ihm ihre Reaktionen und Schmähungen anzuvertrauen: Aus dieser Begegnung entsteht der am 25. September veröffentlichte, vierseitige Beitrag – eine erste Rohfassung von Die Wut und der Stolz in einer bisher unbekannten Länge für einen Artikel oder Diskussionsbeitrag in der Mailänder Tageszeitung. Von diesem Moment an degenerierte ein Großteil der Debatte über die Attentate des 11. September in Italien zu einerm Streit über die Legitimität der Islamphobie und die vermeintliche Überlegenheit der westlichen Welt (8).

Die zahlreichen Tatsachenfehler und die völlig mangelnde Objektivität der Behauptungen von Frau Fallaci (9), riefen fast keine Reaktion hervor, obwohl diese möglicherweise als Verletzung der journalistischen Berufsregeln hätten angesehen werden können. Es ist zwar wahr, dass Frau Fallaci sich 2001 nicht mehr als Journalistin, sondern lediglich als Schriftstellerin bezeichnete, und sie seit Beginn ihrer Laufbahn die Subjektivität ihres Ansatzes als eine bewusste Entscheidung für sich beansprucht hatte. Damals konfrontierte sich ihr Subjektivismus noch mit den Tatsachen vor Ort, mit einem bestimmten Kulturrelativismus, mit der Suspendierung des moralischen Urteils und einer verständigen Vorgehensweise (10), all dies verschwand mit der fortschreitenden Sesshaftigkeit und dem Rückzug der Schriftstellerin in ihre New Yorker Wohnung und ihre Villa in der Toskana (11).

Die Motive für dieses Schweigen über die fehlerhafte Tatsachenrekonstruktion und die Willkürlichkeit der Behauptungen von Frau Fallaci, kann man der Lektüre der 2006 veröffentlichten Zeitzeugenaussagen entnehmen: Im Bewusstsein, ihre Bekanntheit der Medienwelt (12) und einer konstanten Selbstvermarktung zu verdanken (13), erzwang Oriana Fallaci mit Drohungen und Wutausbrüchen die Zensur und Selbstzensur bei der Mehrheit der Journalisten, die über sie schreiben wollten; desweiteren scheute sie sich nicht, diejenigen vor Gericht zu zerren, die sich ihrem Gesetz widersetzt hatten. In einem Punkt stimmen die Aussagen überein: Die großen politisch rechts orientierten Zeitungen holten die Zustimmung der Journalistin ein, bevor sie irgendetwas über sie publizierten, und die Verletzung dieser Regel von Seiten von De Bortoli (mit der Veröffentlichung im “Corriere” einer Antwort von Tiziano Terzani (14) zu Die Wut und der Stolz), kostete ihn die Beziehung zu ihr, wie es bereits vielen anderen vor ihm ergangen war.

Diese Strategie war um so wirkungsvoller, da Oriana Fallaci eine Spezialistin in der öffentlichen Erstellung von charismatischen Biographien war, nachdem sie in der Vergangenheit Meisterin im Zerstören derer ihrer Interviewpartner war (15). Die Schriftstellerin hatte perfekt verstanden, dass man Charisma auf drei sich ergänzende Weisen erlangen kann: sich als Schöpfer des eigenen Erfolgs auszugeben; Kritiken vermeiden und sich als Persönlichkeit darzustellen, zu der eine Meinungspluralität unmöglich ist (das heißt, indem man selbst im wahrsten Sinn des Wortes zum Objekt einer epischen Erzählung wird); letztendlich, jeder Korruption zu widerstehen und sich selbst treu zu bleiben oder wenigstens – in Anlehnung an die vorhergehende Bedingung – so zu erscheinen; dies bedeutet, dass jede neue Position als zwingende Konsequenz aus der vorangehenden erscheint (16). Genau dies hat Oriana Fallaci getan, indem sie ihr Engagement im Geist des Risorgimento und ihrer Militanz als Jugendliche in der Widerstandsbewegung beanspruchte: der Islam wurde von ihr auf diese Weise zum Avatar des Faschismus und des einfallenden Feindes erhoben, beziehungsweise jener Feinde, die sie seit ihrer Jugendzeit bekämpft hatte. Durch diese Inanspruchnahme einer Kontinuität mit ihrer Geschichte und einer Treue sich selbst gegenüber, das heißt, der von ihr aufgebauten öffentlich-epischen Figur, indem sie sich als Persönlichkeit all ihrer Bücher und Artikel in Szene setzte, entwirft sie eine auf ihre Person und Subjektivität bezogene erzählerische Konsequenz, zur Verteidigung ihrer Thesen.

Die Beweise über die eigene Glaubwürdigkeit (beziehungsweise über die erzählerische Stimmigkeit), dienen als logisch-emotionale Faktoren im Prozess der Überzeugung und ersetzen die Beweise zum inhaltlichen Zusammenhang: Realität (Poppersche experimentelle Kohärenz) oder Wahrheit (logisch-interkonzeptionelle Kohärenz). Es handelt sich hier um eine mögliche Abweichung vom öffentlichen Diskurs, bereits 1957 von Roland Bartes identifiziert, die sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts in der politischen Kommunikation verallgemeinerte und unter dem Namen storytelling theorisiert wurde (17). Oriana Fallaci, ehemalige Angehörige des subjektivistischen “New Journalism” und zum politischen Meinungsjournalismus konvertierte Romanschriftstellerin, war in den Jahren 2000 ein Exemplar dieser story spinners, die die öffentliche Meinung über die erzählerische (Re)Konstruktion der Ereignisse mobilisieren und diese in den Kontext einer konservativen Erzählung stellen. Konservativ deshalb, da die Erzählung im Einklang mit dem Pathos des Allgemeinsinns und der Vorurteile ihres Publukums strukturiert wird. Es handelt sich um eine Öffentlichkeit, deren erzählerische Kehrseite – losgelöst von Tatsachen und rationaler Argumentation – unmittelbar darstellbar ist, indem sie allen, die an die Erzählung glauben, eine Rolle zuschreibt, und sie dadurch zu direkten Beteiligten werden lasst (18).

Direkte Zeugen und Probleme der Erzählung

Paradoxerweise sind es genau diese Charakteristiken des Werkes und der öffentlichen Figur von Oriana Fallaci (eins vom anderen untrennbar), durch die die Banalität des Großteils der in der italienischen Presse erschienenen Traueranzeigen hervorgehoben wird. Die Politiker, im Gleichklang mit fast allen Verlegern, hielten mit unterschiedlicher Emphasis Lobreden auf die in ihren letzten Werken zum Islam “gestellten” Fragen… offensichtlich um sich die Sympathien der Wähler und Leser nicht zu verscherzen. Zu dem Fallaci-Epos, bestehend aus den Büchern und Artikeln der Autorin selbst, gesellen sich die polyphonischen “Erzählungen über Fallaci” anderer Autoren, mit der offensichtlichen Absicht an ihrer “Legende” symbolisch teilzuhaben. Das Buch von Riccardo Nencini (Präsident der Region Toskana), ist vielleicht die emblematischste Veröffentlichung bezüglich der Absicht Teil der erzählerischen Struktur der Legende Fallaci zu sein, die sie um sich selbst entworfen hatte (19). Das Buch, ein Bericht über einige Begegnungen und Dialoge mit dem Autor in den letzten Tagen der Schriftstellerin, versucht Frau Fallaci in die Kontinuität der bekanntesten Episoden der Geschichte der Toskana einzureihen, und den Autor selbst in die letzte Episode der Taten der Oriana Fallaci in der Rolle des Vertrauten.

Auch der “offene Brief” von Magdi Allam (Vizedirektor des “Corriere della Sera”) (20), muss in der Perspektive der Zustimmung zu dieser erzählerischen Dimension angesehen werden. Der Brief, im Anhang eines Buches, selbst als eine beispielhafte und didaktische Autobiographie angelegt, stellt sich in einer sehr verallgemeinernden Erzählung über die Beziehungen zwischen Italien und dem Islam gegen die Thesen von Oriana Fallaci, indem er einen rationalen und moderaten Muslim dem der Flüche ausstoßenden Fallaci entgegensetzt. Das Ergebnis ist die Stärkung der erzählerischen Struktur, in der die Auseinadersetzung stattfindet, durch eine präzise Verteilung der Rollen, die sich gegenseitig legitimieren und damit eine Handlung stärken, aus der es immer schwieriger wird herauszukommen. Die erzählerische Dimension der Inszenierung der Auseinnadersetzung, metapragmatisch gegenüber der Debatte selbst, trägt dazu bei das intellektuelle Feld zu begrenzen und diejenigen zu legitimieren, die daran teilnehmen und andere davon auszuschließen (21). Einfacher gesagt: die Mehrheit der Journalisten, die sich an der nekrologischen Erzählung des Lebens von Oriana Fallaci versucht haben, taten dies durch reines Aufzählen und eine ungeschickte Paraphrasierung ihres Werkes; sie boten letztendlich nur Biographien, deren Hauptquelle Oriana Fallaci selbst war.

Es überrascht also nicht, dass die wenigen interesssanten Texte – die einzigen, die einen authentisch externen Blick und neue Elemente liefern, um die intimen Mechanismen und die Motivationen der Schriftstellerin besser zu verstehen – von beteiligten Beobachtern geschrieben wurden, die sie im Verlauf ihrer Karriere begleitet hatten: Kollegen, mit denen sie aus zwingenden Gründen Risiken und ruhige Zeiten, in denen sie nicht auf der Bühne der Öffentlichkeit stand, geteilt hat und die, obwohl sie die Person O.F. kennengelernt haben, nicht eine Sekundärrolle in der Legende anstrebten. Bernardo Valli (22) und Massimo Fini (23), zum Beispiel, erklären und zeigen bis zu welchem Punkt der Protagonismus und die zugestandene Vorliebe zu Intuition, Aktion und brutalen Tatsachen, Oriana Fallaci eine absolut außergewöhnliche Kühnkeit und Kampfgeist verliehen haben, sie jedoch gleichzeitig unfähig gemacht hat die Komplexität der Welt zu begreifen, außer diese in direkter Weise wiederzugeben. Mit der Zeit führte dieser Verzicht von Oriana Fallaci auf die Reportage unvermeidbar zu einem vorrangig selbstbezogenen und realitätsfremden Denken. Zumal zwei renommierte italienische Journalistinnen, Natalia Aspesi und Miriam Mafai, betonten, dass neben den Scoops und dem Publikumserfolg, Orianas Intoleranz schon seit langem ihre Abneigung gegen Feminismus als kollektiver Kampf und ihre besessene Ablehnung der Homosexualität erkennen ließ.

Im übrigen zeigen die Erinnerungen von Rino Fisichella, Bischof, Rektor der Päpstlichen Lateranuniversität und Freund von Oriana Fallaci in ihren letzten Jahren (ihre Texte wurden sogar von ihm vor der Veröffentlichung überprüft) unmissverständlich, wenn auch unbeabsichtigt, wie die Virulenz der späten Fallaci ihre Legitimation aus der doktrinären Zuspitzung und dem abendländischen Denken von Papst Benedikt XVI zieht (24). Trotzdem hat es außer diesen wenigen Ausnahmen niemand wirklich versucht, die Ursachen der rassistischen Entgleisung von Oriana Fallaci zu begreifen. Außer Gad Lerner (25), der schüchtern andeutete, dass sich diese Tendenz vielleicht durch den krankheitsbedingten Rückzug auf sich selbst in den Jahren 1990-2000 verschärfte. Sonst hat niemand die Hypothese einer Schwächung der kognitiven Fähigkeiten durch die fortschreitende Krebserkrankung in Erwägung gezogen.

Wie bereits von dem Soziologen Marco Marzano (26) aufgezeigt, ist es charakteristisch für die offentliche Debatte in Italien nie Vergleiche und Untersuchungen vorzunehmen, die einen Ursachenzusammenhang zu einer Krebserkrankung herstellen, vor allem, wenn es sich um Spitzenintellektuelle handelt, für die man annimmt, dass Weisheit als Frucht des Alters durch Krankheit unanfechtbar sei. All diese gekünstelten Tabus, expliziter oder impliziter Natur, tragen dazu bei, dass die Gründe, die Ursachengeschichte, deren Szenerie Oriana selbst aufgebaut hat, sich immer stärker einschleichen und in mehr oder weniger unterschiedlichen Varianten vom Großteil der Kommentatoren aufgegriffen werden, in der Art: wenn die Schriftstellerin mit einer derartigen Gewalt die Gesamtheit der Muslime angreift, muss dies wohl heißen, dass die Gesamtheit der Muslime ihr Gewalt angetan hat. Je mehr eine Geschichte einfach und in ihren Bezügen und Anschuldigungen zugänglich ist, desto einfacher ist es sie zu erzählen und sich eigen zu machen (27); auch weil die italienische Öffentlichkeit besonders transititiv und linear in ihren Oppositionen ist: indem man Oriana Fallaci kritisiert, die “gegen” den islamischen Terrorismus ist, riskiert man als terroristenfreundlich beschuldigt zu werden.

Wegen dieser Polarisierung der italienischen Öffentlichkeit, ist die umschmeichelteste italienische Bilderstürmerin in den letzten Jahren ihres Lebens mit ihren islamphobischen Predigten für Millionen Leser und der Rechten zu einer Ikone geworden: dies zeigt auch das letzte, im Mai 2006 in der Zeitschrift “The New Yorker” (28) veröffentlichte und ihr gewidmete Portrait-Interview, die Heldin der 60-70iger Jahre hatte sich in eine rassistische Erynne verwandelt, ohne je ernsthaft zu hinterfragen wie es dazu kommen konnte und die Bedingungen und präzise Modalität dieser öffentlichen Metamorphose zu analysieren. Giancarlo Bosetti (in seinem Buch Cattiva Maestra, I libri di Reset – 2005), liefert in diesem Zusammenhang ein überzeugendes, doch partielles Argument: indem sie die Lektüre der Trilogie von Oriana Fallaci, Momument der Populärliteratur, vernachlässigte, hat ein Großteil der italienischen Intellektuellen und Wissenschaftler sich nicht nur die Möglichkeit verschlossen das Werk zu kritisieren, sondern auch seinen außergewöhnlichen Erfolg zu analysieren. Die Hunderte Artikel und journalistische Zeitzeugen nach ihrem Tod, bieten ein weiteres Element zu dieser Erklärung: Gefangen in ihrer einsamen islamphobischen Gedankenwelt, wurde Oriana Fallaci von skrupellosen Verlegern zu einem Aushängestück des Medienzirkus gemacht, den gleichen Verlegern, die – wie die von ihrem Prestige und Bissigkeit eingeschüchterten Kollegen der Journalistin-Schrifstellerin – stattdessen ein Minimum von peer review über ihre Artikel vor und nach deren Veröffentlichung ausüben hätten können und müssen (29). Diese Isolation und Verletzbarkeit sind aus opportunistischen Gründen von Gianni Vallardi und Ferruccio De Bortoli ausgebeutet worden, während andere, weiter rechts stehend, auf die gleiche Weise aus ideologischer Überzeugung gehandelt haben. Aus diesem Grund sind sie, wie oder vielleicht noch mehr als Oriana Fallaci selbst, die eigentlichen Verantwortlichen ihrer letzten Schriften (30).

Bruno Cousin ist Doktorand in Soziologie beim l’Observatoire sociologique du changement (Sciences Po/CNRS) und der Universität Milano-Bicocca. Er ist außerdem Mitglied der Abteilung der Politikwissenschaft der Université de Paris 8 Vincennes Saint-Denis, wo er politische Soziologie lehrt. Mit Tommaso Vitale hat er vor kurzem veröffentlicht: «La gauche italienne face au mouvement pour les libertés civiles des sans-papiers», in Critique internationale, n. 37, Dezember 2007.

Tommaso Vitale ist Forscher in Allgemeiner Soziologie der Universität Milano-Bicocca, wo er in den Laboratorien PolitLombardia und Sui Generis – Soziologie der öffentlichen Handlungen – beschäftigt ist. Er ist mit Groupe de Sociologie Politique et Morale (EHESS Paris/CNRS) und mit dem Workshop Political Theory and Policy Analysis (Indiana University) assoziiert. Mitglied der Redaktion von Partecipazione e Conflitto, Zeitschrift zu politisch-sozialen Studien.
Veröffentlichungen: In wessen Namen? Beteiligung und Repräsentanz bei lokaler Mobiliserung (Franco Angeli, 2007), Die Konventionen der Arbeit, die Arbeit der Konventionen (Franco Angeli, 2007; mit Vando Borghi) und Anhand der Gewalt. Einleitung in die pragmatische Staatssoziologie (Editori Riuniti, 2008)

Anmerkungen:

1) Dieser Artikel ist eine überarbeitete und erweiterte Version von Les liaisons dangereuses de l’islamophobie. Retour sur le « moment Fallaci » du champ journalistique italien, in «La Vie des Idées», Nr. 24, Seite 83-90.
2) O.Fallaci, Der Wut und der Stolz, Rizzoli, Mailand 2001 ; Die Kraft der Vernunft, Rizzoli, Mailand 2004 ; Oriana Fallaci im Gespräch mit sich selbst – die Apokalypse, Rizzoli, Mailand 2005.
3) In diese Betrachtungsweise fügt sich die von uns aktuell durchgeführte Analyse der Tausende im Forum Thank you Oriana seit 2001 hinterlassenen Nachrichten ein, mit dem doppelten Vorteil: es vereint Teil der selbsterklärten Fans von Oriana Fallaci, die von ihr selbst im zweiten Pamphlet der Trilogie als repräsentativ für ihr Publikum anerkannt wurden. Das Forum, wie nachfolgende gleichen Namens, sind zum Webtreffpunkt der Anhänger von Frau Fallaci geworden.
4) Falsifikation, deren Rhetorik und Behauptungen Punkt für Punkt von einigen muslimischen Intellektuellen und Experten demontiert wurden. Siehe hierzu besonders: S. Allievi, Niente di personale, signora Fallaci, Reggio Emilia, Aliberti 2006; A. Taheri, The Force of Reason. Book Review, «Asharq Al-Awsat», 23. August 2006.
5) B. Cousin, T. Vitale, Quand le racisme se fait best-seller, «La Vie des Idées», Nr. 3, Juni 2005; G. Bosetti, Cattiva maestra (Eine schlechte Lehrmeisterin), Venedig, Marsilio 2005; B. Cousin, T. Vitale, La question migratoire et l’idéologie occidentaliste de Forza Italia, «La Vie des Idées», Nr. 11, April 2006.
6) Siehe hierzu: S. L. Aricò, Oriana Fallaci, Southern Illinois University Press 1998.
7) Ferruccio De Bortoli, Klasse 1953, war Direktor des «Corriere della sera» von 1997 bis Mai 2003. Seit Januar 2005 leitet er den «Sole 24 Ore», die historische Tageszeitung der Confindustria (Unternehmerverband).
8) B. Cousin, T. Vitale, Oriana Fallaci ou la rhétorique matamore, «Mouvements», Nr. 23, 2002.
9) Die geringe Neigung der italienischen Journalisten Nachrichten zu verifizieren, wurde bereits von Cyril Lemieux, Mauvaise presse, Paris, Métailié 2000 hervorgehoben. Hierzu siehe auch M. Buonanno, L’élite senza sapere, Neapel, Liguori, 1988.
10) Siehe hierzu besonders ihre ersten Reportagen aus dem Vietnamkrieg Niente e così sia, Rizzoli, Mailand 1969.
11) Dieser Blick auf die Realität der Fallaci der letzten Jahre, durch das Projekt einen historischen Roman über ihre Familie zu schreiben (ihr angekündigtes Meisterwerk) und durch ihre Krankheit ans Haus gefesselt, beeindruckt wegen der Analogie mit der des Essayisten Alain Finkielkraut, der ebenfalls das soziale Umfeld ausschließlich durch das Prisma der Medien wahrnimmt.
12) In der Bedeutung, die L. Boltanski e L. Thévenot, On Justification. The Economies of Worth, Princeton, Princeton University Press 2005 (Originalausgabe. 1991) dieser Äußerung zuschreiben.
13) Ein Legitimationsprozess, vergleichbar mit dem von Bernard-Henry Lévi in Frankreich, auch er ein von den Medien stark in den Mittelpunkt gestellter Essayist. Siehe hierzu: P. Cohen, BHL, une biographie, Paris, Fayard 2005. Frau Fallaci verehrte über lange Zeit Curzio Malaparte, wie Lévy Malraux verehrte.
14) Tiziano Terzani (1938-2004) war in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends neben Oriana Fallaci der große, öffentliche Intellektuelle; eine Rolle, die beide nach dem Tod von Indro Montanelli (1909- 2001) erbten.
15) Siehe hierzu: O. Fallaci, Intervista con la storia (Interview mit der Geschichte), Mailand 1974.
16) Die Bestimmung dieser drei Modalitäten beim Aufbau eines Charisma verdankt viel der Diskussion mit Luc Boltanski.
17) R. Barthes, Mythologies, Paris, Seuil 1957, S. 50; C. Salmon, Storytelling, la machine à fabriquer des histoires et à formater les esprits, Paris, La Découverte 2007.
18) Hier lohnt es sich daran zu erinnern, wie auch die vom Ministerium für Kulturgüter veranstaltete Ausstellung « Oriana Fallaci. Interview mit der Geschichte », mit ihrem großem Publikumserfolg (darunter viele Schulklassen), zu der von Oriana Fallaci selbst sorgfältig vorgebenen, epischen und erzählerischen Anordnung, beiträgt ; siehe hierzu den Ausstellungskatalog (in Mailand, September-November 2007 ; in Rom, Dezember-Januar 2008) : A. Cannavò, A. Nicosia, E. Perazzi (Herausgeber), Oriana Fallaci. Intervista con la Storia. Immagini e parole di una vita ( Oriana Fallaci. Interview mit der Geschichte. Bilder und Worte eines Lebens), Mailand, Rizzoli 2007.
19) Eine bereits im Buchtitel verdeutlichte Anteilnahme: R. Nencini, Oriana Fallaci. Morirò in piedi (Ich werde aufrecht sterben), Florenz, Polistampa 2007.
20) Magdi Allam, "Lettera aperta a Oriana Fallaci " (Offener Brief an Oriana Fallaci), in Vincere la paura. La mia vita contro il terrorismo islamico e l’incoscienza dell’Occidente (Die Angst besiegen. Mein Leben gegen den islamischen Terror und die Leichtsinnigkeit des Westens), Mailand, Mondadori 2005.
21) Siehe hierzu : P. Bourdieu, Ce que parler veut dire, Paris, Fayard 1982. Um allgemein die Bedeutung dieses erzählerischen Paradigmas in der politischen Kommunikation und der Sozialkritik zu beruteilen, ist es interessant zu bemerken, dass auch die Bücher, die sich denen von Oriana Fallaci entgegensetzen, beim Publikum durch alternative Gegenerzählungen über die internationalen Migrationen den größten Erfolg erlangen, indem sie ihrerseits in der Art des storytelling angeordnet sind : Sammlungen biographischer Interviews (M. Rovelli), Roman (R.Saviano), oder journalistische Recherche (F.Gatti).
22) Bernardo Valli, Jahrgang 1930, zur Zeit Pariser Redaktionsleiter von «La Repubblica», stand mit Oriana Fallaci vor allem in Kontakt, als beide Kriegsberichterstatter in Vietnam waren.
23) Massimo Fini, Jahrgang 1943, Journalist, arbeitet heute mit zahlreichen rechtsgerichteten Zeitungen zusammen und war mit Oriana Fallaci in den siebziger Jahren beim «L’Europeo».
24) In ihren letzten Lebensjahren bezeichnete sich Oriana Fallaci als «christliche Atheistin», nicht gläubig, doch tiefchristlich auf kultureller Ebene.
25) Journalist und Essayist, der Demokratischen Partei nahestehend, Moderator der politisch-kulturellen Talkshow L’Infedele.
26) M. Marzano, Scene finali. Morire di cancro in Italia, Bologna, Il Mulino 2004.
27) Siehe hierzu C. Tilly, Un’altra prospettiva sulle convenzioni, in V. Borghi e T. Vitale (Herausgeber), Le convenzioni del lavoro, il lavoro delle convenzioni, Milano, FrancoAngeli 2007.
28) M. Talbot, The Agitator. Oriana Fallaci directs her fury towards Islam, «The New Yorker», 5 Juni 2006.
29) Zu den Besonderheiten des italienischen Journalismus siehe: D. C. Hallin e P. Mancini, Modelli di giornalismo, Rom-Bari, Laterza 2004; C. Sorrentino (Herausgeber), Il campo giornalistico, Rom, Carocci 2006.
30) Dies sagen wir, ohne zugleich zu leugnen, dass die Meinungaussrichtung des «Corriere della Sera» zu dieser Frage auch nach dem Wechsel von De Bortoli zu Paolo Mieli und der von Magdi Allam eingenommenen Spitzenposition eine gewisse Kontinuität aufweist. In der Tat beansprucht Magdi Allam im September 2006, nachdem er von Oiana Fallaci hart kritisiert worden war und ihr Qualunquismo vorgeworfen hatte, eine starke Kontinuität zwischen seiner Position und der von Oriana Fallaci. Siehe hierzu G. Bosetti, Ora l’islamico Magdi ama Oriana. Ma Oriana amò Magdi l’islamico? (Jetzt liebt der islamische Magdi Oriana. Doch liebte Oriana den islamischen Magdi? «Il Riformista», 22 September 2006.

Übersetzung von Ruth Reimertshofer